Ein stiller Botschafter der Natur.

Die Gründer und ihre Visionen

Im Oktober des Kriegsjahres 1940 grün­de­te das Arzt-Ehepaar Olga und Paul Cattani mit drei wei­te­ren Initianten einen Verein, die heu­ti­ge Schweizer Patenschaft für Berggemeinden. Im Oktober 2020 durf­te sie ihren 80. Geburtstag bege­hen. Die Schweizer Patenschaft für Berggemeinden wird aber bestimmt nicht in Pension gehen, son­dern wei­ter­hin den Visionen ihrer Gründer nach­le­ben und die Bergbevölkerung tat­kräf­tig unterstützen. 

So zu hel­fen und bei­zu­ste­hen, wie sich ein Götti um sein Patenkind küm­mert, bis es selb­stän­dig im Leben ste­hen kann, das war die Devise von vier Idealisten (dar­un­ter das Ehepaar Olga und Paul Cattani), die 1938 beschlos­sen, die arme Tessiner Gemeinde Corticiasca im Val Colla finan­zi­ell zu unterstützen. 

Olga Cattani
Dr. Paul Cattani

Die erste Patenschaft war in die Tat umge­setzt. Bei einem sei­ner zahl­rei­chen Göttibesuche kam Dr. med. Cattani der Gedanke, man könn­te doch das, was in dem klei­nen Tessiner Dorf mit so viel Liebe und Erfolg ver­wirk­licht wur­de, auch in ande­ren Gemeinden in den Bergen an die Hand neh­men, wo es genau­so nötig war. Gesagt, getan. Voller Enthusiasmus ver­sand­te der Dermatologe und kos­me­ti­sche Chirurg im August 1940 einen Aufruf an etwa 100 bekann­te Schweizer Persönlichkeiten, begin­nend mit den Sätzen: «Eidgenossen! Einander bei­zu­ste­hen mit Rat und Tat, dazu wur­de die Eidgenossenschaft gegrün­det.» Er ver­wies dann auf die damals in vie­len Gemeinden herr­schen­de Arbeitslosigkeit (es war Krieg!) und for­der­te dazu auf, den 100 ärm­sten Gemeinden «als Werk der vater­län­di­schen Solidarität» zu hel­fen. Cattanis Erwartungen wur­den ent­täuscht. Es gab kaum ein Echo. Manch einer hät­te wohl auf­ge­ge­ben. Nicht so Dr. Cattani. Immerhin hat­te er ein auf­mun­tern­des Schreiben des Urner Regierungsrates erhal­ten. Und so sag­te er sich: «Jetzt erst recht!»

«Betteln ist verboten»…

Von sei­ner Gattin Olga tat­kräf­tig unter­stützt, schritt er im Oktober 1940 zur Gründung der «Schweizerischen Patenschaft für bedräng­te Gemeinden», wie sie damals genannt wur­de. Schwierigkeiten blie­ben am Anfang wei­ter­hin nicht erspart. Besonders gro­tesk, aber für die dama­li­ge Zeit typisch war der Entscheid des Kantons Zürich, der die geplan­te Geldsammlung, gestützt auf den Artikel im neu­en Armengesetz «Betteln ist ver­bo­ten» unter­sag­te. Und der Bundesrat eifer­te den Zürchern sozu­sa­gen nach, indem er beschloss, dass «zur Wahrung der Neutralität im Kriege» alle öffent­li­chen Sammlungen der Bewilligung des Eidgenössischen Kriegsfürsorgeamtes bedürf­ten, auch wenn sie wohl­tä­ti­gen und gemein­nüt­zi­gen Zwecken dien­ten. Das Gesuch der Patenschaft wur­de tat­säch­lich abge­lehnt, obwohl es doch die schwei­ze­ri­sche Neutralität ganz bestimmt nicht gefähr­det hät­te.
Wieder stand die Patenschaft fast vor dem Nichts, denn ohne Geldmittel war den bedräng­ten Gemeinden unmög­lich zu hel­fen. Aber Cattanis und ihre Mitstreiter gaben nicht auf. Und dabei wur­den sie von der Presse unter­stützt. Ausführliche und fast durch­wegs zustim­men­de Artikel erschie­nen. Sogar die Schweizer Filmwochenschau nahm einen Beitrag in ihr Programm auf, und so gelang es schliess­lich, das Sammlungsverbot rück­gän­gig zu machen. Manchmal avan­ciert eben die Presse doch zur vier­ten Gewalt im Staate!

Langsam ging es bergauf

Positiv wirk­te sich auch aus, dass mehr und mehr gewich­ti­ge Firmen Patenschaften über­nah­men. So wer­den im ersten Jahresbericht von 1941 unter ande­ren fol­gen­de Firmen und Vereine genannt: Genossenschaft Migros Zürich; Patenschaft Coop, Verband Schweiz. Konsumvereine, Basel; Heberlein & Co. AG, Wattwil; Rotary Club, Basel; Rotary Club, Bern; Tuchfabrik Schild AG, Bern und Liestal; Verband des Personals öffent­li­cher Dienste, Sektion Zürich. Und auch der Katalog der Hilfeleistungen beweist, mit wel­chem Elan man in den Gemeinden an die Arbeit ging. Da heisst es zum Beispiel: Kurse in Schuhmacherei und Schreinerei mit Freizeitwerkstatt, Anstellung bes­se­rer Arbeitslehrerinnen, Organisation des Sammelns von Heilkräutern und Beeren, Apfelspenden an die Jugend, Betreuung ein­zel­ner alter Leute und Kinder. So konn­te denn der Präsident, Dr. Paul Cattani, im Jahresbericht mit Stolz ver­mer­ken: «Die Patenschaftsbewegung ist auf dem besten Wege, ein schö­nes und star­kes Band der eid­ge­nös­si­schen Solidarität zwi­schen den Götti im Tiefland und jenen bedürf­ti­gen Gemeinden zu weben, die nicht aus eige­ner Kraft imstan­de sind, sich selbst zu helfen.»

Anstellung bes­se­rer Lehrkräfte

Die Cattanis – ein starkes Team

Dass die Patenschaft ihre anfäng­li­chen Schwierigkeiten erfolg­reich über­wand, ist in erster Linie dem Ehepaar Cattani zu ver­dan­ken, das sich unent­wegt für «sein Kind» ein­setz­te. Paul und Olga Cattani ergänz­ten sich vor­treff­lich. Paul Cattani war der ruhen­de Pol, er ver­folg­te unent­wegt und uner­schüt­ter­lich sein Ziel und setz­te sich in Wort und Schrift uner­müd­lich für die Patenschaft ein. Seine Gattin Olga war sehr tem­pe­ra­ment­voll und selbst­be­wusst, eine idea­le Ergänzung zu ihrem Mann. 

So segel­te die Patenschaft – man gestat­te die­sen Vergleich – flott dahin, und ist heu­te zu einer bedeu­ten­den Institution für das Schweizer Berggebiet geworden.