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Mit der Seilbahn zur Schule

Die Kinder vom Acherberg ober­halb Bürglen benut­zen täg­lich die Seilbahn Witerschwanden-Acherberg. Roman, Linda, Benjamin und Silvan neh­men uns mit auf ihren Schulweg.

Es ist noch sehr früh, als Roman (7) und Linda (6) auf dem Hof Zoller aus dem Bett krie­chen. Zögerlich zeigt sich das Tageslicht, und die Gletscher auf der ande­ren Talseite begin­nen zu leuch­ten. Nach dem Müesli heisst es rasch Zähneputzen, warm anzie­hen und los­mar­schie­ren. Fast eine Viertelstunde dau­ert es bis zur Bergstation Kessel. Dort ruft Roman den Seilbahnwart an, der von der Mittelstation aus die ersten Fahrten des Tages mit den jun­gen Passagieren bedient.

Der Weg ist jetzt schnee­frei. Im ver­gan­ge­nen Winter aber wur­de er oft zum «Krampf». Weil der Weg wegen den enor­men Schneemengen und der Gefahr von Rutschen nicht wie üblich geräumt wer­den konn­te, prä­pa­rier­ten die Eltern mit ihrer klei­nen Schneefräse eine Spur im bauch­ho­hen Schnee. Als die­se aus­fiel, spur­ten sie mit den Schneeschuhen, und zwi­schen­durch lies­sen sie sogar die Kühe einen Pfad tram­peln. Das brach­te den Tieren gleich­zei­tig einen will­kom­me­nen Auslauf.

Jetzt heisst es Platz neh­men in der Gondel. Die Metallkonstruktion bie­tet Platz für vier Passagiere auf zwei schma­len Sitzbänken. Auf der gedeck­ten Ablage fah­ren die Schultheke der Kinder, ande­res Gepäck oder auch die fri­sche Milch mit. Regelmässig fah­ren auch Kälber zu Tal, dann wer­den eine Bank und die Zwischenwand ent­fernt. Kurz nach der Abfahrt hält die Kabine wie von Geisterhand gebremst an. Wir sind bei der Mittelstütze ange­kom­men, hier stei­gen Benjamin (12) und Silvan (8) über eine Leiter und ein Podest zu. Ihr «Heimet» liegt nur etwa 200 Meter von der Bahn ent­fernt. Die Kinder haben sich viel zu erzäh­len, und zwi­schen­durch spä­hen sie durch die Fenster. Ob sich irgend­wo ein gros­ser Stein gelöst hat? Oder hängt ein Ast gefähr­lich nahe zum Bahnseil? «Da, ein Eichhörnchen», ruft Benjamin. Und Roman erzählt ihm, dass er kürz­lich gleich acht Hirsche gese­hen hat. 

Am Vorder Acherberg heisst es umstei­gen auf die unte­re Sektion. Die Kinder sich­ten eine Baumaschine – sie steht bereit für den Bau des neu­en Güterwegs, der der­einst die Seilbahn ent­la­sten und die Zufahrt zu den zahl­rei­chen Bauernbetrieben erleich­tern und ver­kür­zen wird. An der Talstation ste­hen vol­le Milchkannen, die mit der vor­he­ri­gen Fahrt ins Tal kamen und dem­nächst vom Sammeltransport abge­holt wer­den. Nur ein paar Meter wei­ter bestei­gen die Kinder das Postauto nach Bürglen, wo sie den Kindergarten und die Primarschule besuchen.

Schulweg als Lebensschule

Paul Herger-Gisler wohnt mit sei­ner Frau Annagreth und den Kindern auf dem Hof Kessel, gleich neben der Bergstation auf 1420 m ü. M. Dort ist er auf­ge­wach­sen, und auch er ging mit der Seilbahn zur Schule. «Ich bin mit der Seilbahn ver­wur­zelt», sagt er. Mit der Bahn ver­bin­den ihn Erlebnisse und Erfahrungen. «Dieser Schulweg ist eine Lebensschule für Kinder», meint er. «Sie ler­nen den Umgang mit der Natur, dem Wetter, der Technik und die Verantwortung in der Gemeinschaft.» Von 2010 bis 2020 prä­si­dier­te Paul Herger-Gisler die Seilbahn-Genossenschaft, deren Mitglieder die 17 Grundeigentümer der Bahn sind. 

Im Jahr 2019 brach­ten sie es auf fast 14’000 Fahrten – inklu­si­ve der weni­gen Touristen, die hier waren. Unter den Genossenschaftsmitgliedern hat sich eine star­ke Zusammengehörigkeit ent­wickelt. Das ist nötig, denn die Seilbahn hat ihre Tücken. Der Wind wird immer mehr zum Problem. Er blies in den letz­ten Jahren nicht nur häu­fi­ger, son­dern wur­de auch immer hef­ti­ger und böiger. Die Seilbahn, die die mei­ste Tageszeit über auto­ma­tisch gesteu­ert wird, stellt dann auf­grund der Windmessgeräte ab. Dann muss der Bahnwart die Situation ein­schät­zen und die Bahn je nach­dem wiederstarten. 

Auch die Genossenschafter müs­sen die Situation lau­fend beob­ach­ten, um bei­spiels­wei­se Bäume, die das Seil gefähr­den könn­ten, oder auch Wetteranzeichen mel­den zu kön­nen. Für die Kinder bedeu­tet der Wind, dass sie unter Umständen nicht oder erst ver­spä­tet fah­ren kön­nen. «Und sie müs­sen schon früh Verantwortung über­neh­men und gegen­sei­tig auf­ein­an­der auf­pas­sen», stellt Paul Herger-Gisler fest. Jetzt ist er Präsident der Baukommission der Wegbaugenossenschaft Acherberg. Er freut sich dar­auf, dass der neue Güterweg schon bald die Transporte von Personen, Vieh und Material siche­rer macht und zusätz­lich ver­ein­facht. Und die Kinder kön­nen auch dann zur Schule, wenn es stürmt.